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W:O:A - Wacken Open Air

Eigentlich ist es doch ganz beschaulich in diesem kleinen Örtchen im Herzen Schleswig-Holsteins. Bauern melken ihre Kühe, die tagsüber friedlich auf den Weiden grasen, hier und da rumpelt ein Traktor vorbei, und es herrscht eine typisch norddeutsche Idylle. Dann jedoch, mitten im schönsten Sommer, kommt auf einmal Bewegung in die Umgebung. Eine Stadt wird gebaut. Heavy Metal Town mit über 75.000 Einwohnern kommt für eine Woche zu Gast:

In der ersten Augustwoche ist Wacken fest in der Hand der Metalheads, dann findet alljährlich das WACKEN OPEN AIR statt, das seit über zwanzig Jahren als eines der größten Metalevents in Deutschland gilt. Das gelegentliche sonore "Muuuh" der einheimischen schwarzbunten Nutztierpopulation weicht quasi über Nacht dem permanenten, schrill-lauten "Wackööööön" Gebrüll einer Horde meist schwarzbunt gewandeter, oft langhaariger Kulturbanausen, deren Bestreben es ist, in schon fast olympisch anmutender Motivation "Harder.Faster.Louder" in Richtung "Louder than Hell" Ziellinie zu marschieren. Man könnte nun meinen, die Anwohner des Örtchens würden sich verstecken, die Fensterläden zuschlagen und ein "Der Herr sei bei uns" intonieren, um die Plage abzuwehren. Doch wer das glaubt, kennt die Norddeutschen nicht ;-) Das Defilee der Schwermetalldiven wird unter größter Anteilnahme besonders der ortsansässigen Senioren in Wacken immer wieder gern von der einheimischen Bevölkerung abgenommen, Oma und Opa finden das nämlich höchst unterhaltsam, und wer besser zu Fuß ist, verschachert Bier und Korn an der Straße \m/



65 Sattelzüge braucht es allein, um die ca. 1.000 Tonnen Bühnentechnik heranzuschaffen, dazu nochmal 8 Sattelzüge mit Tontechnik und weitere 27 Sattelzüge mit Lichtequipment, damit ca. 120 Bands auf insgesamt 7 Bühnen ihr Bestes geben können. Die Aufbauarbeiten der Bühnen beginnen um den 25.07. herum, in den Wochen vorher werden 5 km Schwerlaststraßen verlegt, 450 Container und über 250 Zelte aufgestellt. Alles in allem bringen über 1.500 Trucks Material nach Wacken. 40 Kilometer Zaun umgeben das gesamte Festivalgelände das mit 2,2 Quadratkilometern Fläche maximal 100.000 Personen zu fassen in der Lage ist. Die Fläche entspricht etwa der Hälfte des Stadtgebietes von Friedrichstadt, wobei die "Bevölkerungsdichte" hier fast 50 Mal so hoch ist (was immer noch mehr als doppelt so viel wie in Monaco ist, dem Land mit den meisten Einwohnern pro Quadratkilometer). Die tatsächliche "Einwohnerzahl" von Heavy Metal Town entspricht in etwa der der Stadt Flensburg.

Wacken Luftbild
W:O:A von oben. Bildquelle: www.schleswig-holstein.de

Wacken ist übrigens die einzige Gemeinde in Schleswig-Holstein, die im Sommer flugs ihre Ortseingangsschilder abmontiert. Die ständige Ersatzbeschaffung war dann mit den Jahren wohl doch zu kostenaufwändig. Drei Tage vor dem Beginn des Festivals sieht es dann in der Heavy Metal Town noch ungefähr so aus, alles ist ruhig und chillig:



Am Montag der Festivalwoche beginnt schon die Anreise. Erste Gruppen von Autos, Bussen, Wohnwagen, Wohnmobilen und allerlei anderes gediegenes Gefährt aus allen europäischen Ländern schieben sich über die Zuwegungen heran, die von den Straßenmeistereien in dieser Zeit gern mit zahlreichen Baustellen garniert werden. Wegen zu schnellen Fahrens wird hier keiner aus dem Verkehr gezogen, allerhöchstens, weil jemand seinen Festivalvorrat an Drogen nicht gut genug unter Lagen von Bier versteckt hat. Die Zugangskontrollen der Polizei geben dem Verkehrsfluss dann oftmals den Rest, und so geht es im Schrittempo gen Metal-Mekka. Aber warten müssen nicht nur die Fans, auch unser Redaktionsteam musste am Check-In Schalter warten. Eine Veranstaltung von solcher Größe logistisch und organisatorisch zu leiten, ist eine echte Leistung, und besonders auffällig war, dass alle Crewmembers ausgesprochen freundlich waren. Höflich und zuvorkommend wurden wir am Schalter abgefertigt, es gab Armbändchen, Schlüsselbänder, Ausweise und Parkplakette, und obwohl uns eine der schriftlichen Akkreditierungen fehlte (die war auf dem Postweg verlorengegangen), wurde die Sache umgehend und kompetent vor Ort gelöst, binnen Minuten war alles perfekt.

Ab Dienstag morgen, zwei Tage vor Festivalbeginn, füllt sich das Dorf langsam mit Metallern, auch der wohl berühmteste Supermarkt im Norden ("Backshop Bolle") hat wieder für eine Woche geöffnet. Hier gibt es Bier, Bier und Bier, Bier und Bier und ... Ravioli. Und die Kids aus dem Dorf verdienen sich was, indem sie den Stoff mit ihren Carts zum Zeltplatz fahren. An den Zugangsstraßen beginnen die Polizeikontrollen. Im Dorf selbst herrscht eine angenehme, entspannte Atmosphäre, bei sonnigem Wetter genießt man kühle Getränke in den zahlreichen improvisierten Biergärten in Wacken und den umliegenden Gemeinden.

Mittwoch, T-1day. Dienstag Nacht hat es geregnet. War ja klar. Was ist Wacken ohne Schlammpfützen. Die ersten Autos versinken hier und da schon im Modder, besser wird das wohl nicht bis Sonntag. Bis zum Mittag ist es auf dem Gelände recht ruhig und entspannt, bis dann die Tore für den Merchandisehandel und den allgemeinen Konsum geöffnet werden. Damit geht der Zauber los.



Ein besonderes Anliegen ist es uns hier noch, die Arbeit der WACKEN FOUNDATION zu erwähnen. Diese gemeinnützige Stiftung gehört NICHT zum W:O:A Kirmestross, sie ist völlig eigenständig und unterstützt junge Künstler und Bands, die im Metalbereich etwas leisten wollen. Auf dem W:O:A Gelände veranstaltet die Foundation in Kooperation mit dem Hochseilgarten FEINKLETTERN in Hademarschen das beliebte Pfahlsitzen, dort kann man die Helfer gern auf die Foundation und deren Arbeit ansprechen. Die Stiftung lebt -wie alle gemeinnützigen Projekte- von Spenden und Zuwendungen. Wer also ein Herz für Schwermetaller hat, ist aufgerufen, mit Spenden zum Gelingen der Sache beizutragen, um es jungen, aufstrebenden Bands zu ermöglichen, im hart umkämpften Musikmarkt Fuß zu fassen.

DAYS OF THUNDER - DAS W:O:A FESTIVAL

Um es hier gleich vorweg zu nehmen. Nein. Wir werden nicht die Auftritte der einzelnen Bands kritisieren, das tun im Netz viel berufenere Schreiber, die sich professionell mit Klang und Sound beschäftigen. Auch ist die Gefahr groß, hier ein zu üppiges Maß an persönlicher Befindlichkeit einfließen zu lassen, und wir haben auch definitiv nicht alle Bands gesehen. Unser Berichtsschwerpunkt soll auf der Stimmung beim Festival liegen. Oft wird ja kolportiert, dass diese "aggressive Musik" die Jugend verrohen würde, ja Black Metal verführe sogar zu "satanistischen" und anderen asozialen Umtrieben. Viele "bad boys" werden das jetzt vielleicht nicht hören mögen, aber all diese Vorurteile sind kompletter Unsinn. Seit über zwanzig Jahren ist dieses Treffen der Schwermetallfraktion ausgesprochen friedlich und harmonisch, jede einzelne dieser Veranstaltung mit ca. 75.000 Besuchern ist im Grunde harmloser als jedes zweite Dorffest. Es gibt kaum nennenswerte Gewaltausbrüche auf dem Gelände. Schlägereien und Scharmützel sind weitgehend unbekannt, und wenn es mal Zank gibt, sind sofort die umgebenden Metalheads zur Stelle und versuchen die Kontrahenten mit lautstarken "Wacköööööön" Rufen unter Darreichung von reichlich Dosenbier zur Friedfertigkeit zu bewegen. Erstaunlicherweise funktioniert das häufig.

Die -zugegeben nicht vollständige- Besichtigung der Abverkaufsstellen für allerlei Zeugs, die inzwischen in die Hunderte gehen, nahm gute zwei Stunden in Anspruch. Da gibt es "historische Backstuben" in denen mit modernster Technik Massenware produziert wird, dann ist da "Tim Mälzers PZA Restaurant", stilecht aus Europaletten zusammengezimmert, es gibt Stände, die vorgeben, "auf dem Feuer gegrillte Sau" anzubieten (jeder, der selbst grillt, weiß, wie ernst man sowas nehmen sollte), es gibt "Wacken-Nacken, Barbarenspieß, Flammlachs" und "Wikinger-Burger" (natürlich simple Standardburger); da sind haufenweise Schankstände, an denen es "Met, Wackenblut, Knochenshots" und allerlei anders martialisch anmutende Getränke aus diversen Großdestillen zu genießen gibt und haufenweise Zeugs, das irgendwie nach Mittelalter, Wikinger, Piraten, Ritter oder so aussieht. Feilgeboten werden Bogenschießen, Axtwerfen, Armbrustschießen, Schwertkampf mit einer Stuntschule, vermeinliche Barbarenspiele und lauter Verlustigungen, die dem verzückten Schwermetaller von heute so gefallen könnten. Oh, und "Wasteland Warriors" mit Mad Max Flair gibt es auch, ja. Alles in allem ein buntes Fantasialand für alle, deren mitgebrachte Barschaft den monatlichen Lebensunterhalt eines Hartz IV Empfängers um so einiges übersteigen sollte, sonst ist der Spaß eher begrenzt. Wacken ist halt ein teurer Jahrmarkt. Allein der T-Shirt Merchandising Stand dürfte in der ersten Stunde mehr Umsatz gemacht haben als die Sparkasse von Wacken in einem Monat.

Hier einige Impressionen von der Metal-Sause, welche von Kritikern aus der puristischen Schwermetall-Liga hin und wieder auch neckisch als "das größte Kinderfest der Welt" bezeichnet wird:


Wacken Open Air 2013

Auch das schönste Fest geht mal zu Ende, doch für die Wackener und die Organisatoren beginnt nun Teil 2 der Sisyphus-Arbeiten, nämlich das Aufräumen. Am zweiten Montag im August sieht es nach einer Woche Harder-Faster-Louder auf den über 250 Fußballfeldern rund um Wacken ungefähr so aus:


Noch während die Festivalbesucher abreisen, strömen schon die Pfandflaschensammler auf das Gelände, und manch eine Familie aus der Umgebung finanziert sich damit den Herbsturlaub, auch Metallschrott (Zeltstangen, Grills usw.) wird bereits jetzt eingesammelt. Es ist unglaublich, was auf so einem Festivalgelände alles an Werten zurück bleibt. Nach der "Vorsortierung" dann geht es ans Eingemachte. Der gesamte Müll von ca. 220 Hektar (2.200.000 Quadratmeter) muss nun von Hand aufgesammelt und zusammengetragen werden, um diesen Müllberg in Container zu verstauen, damit er zur Müllsortieranlage transportiert werden kann. Nicht ein Nagel, Zelthering oder auch nur eine Glasscherbe darf zurückbleiben, denn die Weiden rings um Wacken dienen hauptsächlich der Futtergewinnung für Nutztiere. Die Veranstaltungsleitung geht mit dem Thema offensiv und richtig um, bereits im Vorfeld werden Besucher in Newslettern, Forumbeiträgen und z.T. auf Facebookseiten gebeten, aktiv zur Müllvermeidung beizutragen. Auf dem Gelände gibt es Möglichkeiten, Müll zu trennen, die sog. "Full Metal Bag" ist eine gute Idee zur Müllkonzentration an Sammelpunkten, auch das beliebte "Trash Mobil" sammelt den Müll auf unterhaltsame Weise ein, aber man muss sich nicht vormachen. Wie immer und bei jedem Festival steht die Crew zum Ende der Bespaßung bis zum Hals im Müll. 700 bis 800 Tonnen Müll produziert das W:O:A jedesmal, und diese Menge muss entsorgt werden. Drei Viertel aller erforderlichen Aufräumarbeiten werden in der zweiten Augustwoche bewerkstelligt, über 1.000 Helfer arbeiten fleißg daran, Dorf und umliegende Agrarflächen wieder "schier" zu bekommen. Eine reife Leistung! Auf unsere Nachfrage beim Veranstalter bezüglich des Müllkonzeptes bekamen wir leider keine Antwort.

W:O:A, ein Festival der Superlative in Zahlen (Quelle: ICS):

1) Infrastruktur: Fläche: 220 Hektar (2,2 Quadtratkilometer), Infield: 4,2 Hektar (ca. 42.000 Quadratmeter. 40km Zaun, 5 km Schwerlaststraße, 100 Sattelzüge Bühnen-, Ton- und Lichttechnik. 800 Mobiltoiletten, 310 Wasserspültoiletten, 250 Urinale, 150 Miettoiletten, 4 behindertengerechte Toilettencontainer, 448 Duschen, 420 Waschplätze, 40 Trinkwasserstationen, ca. 3.500 Kubikmeter Abwasser fallen pro Tag an, Stromverbrauch ca. 12 Megawatt an 280 Verteilerkästen bei 10 Kilometern Leistungskabeln. Es gibt ca. 100 Gastro- und 300 Nuíonfoodstände zzgl. privater Anbieter in Wacken.

2) Crew: Gesamt ca. 5.000 Mitarbeiter und Helfer, dabei 18 Elektriker, 40 Site-Crew, 15 Wasserversorgung, 800 Security, 180 REiniger, 70 Aufbauhelfer, 200 Polizisten, 200 Feuerwehrleute, 200 Sanitäter, 4 Notärzte, 50 Behördenvertreter, 130 Band-Akteure u.v.a.

3) Fuhrpark: 16 Pickuptrucks, 12 Geländewagen, 22 Stapler, 15 Shuttlefahrzeuge, 20 Quads, 20 Roller, 20 Fahrräder

4) Versorgung: Neben dem Verbrauch einiger Tonnen an Lebensmitteln werden weit über 1.000 Hektoliter Bier ausgeschenkt und mindestens die doppelte Menge von Festivalbesitzern mitgebracht. Durch zahlreiche privat betriebene Stände in den umliegenden Gemeinden tragen die Anwohner ebenfalls zur Beköstigung mit bei. Allein ein örtlicher Viehhändler verkauft jeden Morgen über 5.000 Brötchen an seinem Stand.

FAZIT

Natürlich ist eine derart professionell organisierte und durchgeführte Supersause ein echtes Highlight in der sonst eher strukturschwachen Gegend. Eine Menge Geld wird hier bewegt und auch die Anwohner sind unmittelbar am Umsatz beteiligt, wenn sie über etwas Fantasie verfügen. W:O:A macht Spaß, ist laut, und es spielen hin und wieder wirklich gute Bands dort. Dennoch gibt es einige Punkte, die man durchaus als kritikwürdig bezeichnen kann. Die Gäste und Besucher haben z.T. viel Geld in ihre Tickets investiert, nicht zuletzt, um die angekündigten Bands zu sehen. Wenn dann aber ein gutes Drittel des Publikums "draußen" bleiben muss, sprich keinen Zugang zum InField erhält, und somit die Lieblingsband gar nicht zu sehen bekommt, dann ist das nicht eben optimal organisiert und sorgt -zurecht- für Verärgerung im Publikum. Hier herrscht eindeutig Nachbesserungsbedarf. Das enorme Anwachsen des W:O:A von der Dorfjause zum Gigafestival hat natürlich auch zur Folge, dass längst nicht jeder hierher kommt, um gute Musik zu hören. Je größer ein Festival, desto mehr Gesindel zieht es an, Diebe, Drogendealer, Betrüger, Leute, die mit minderwertigen Produkten schnellen Reibach machen wollen. Da wird es schnell nötig, steigende Anteile im Budget zur Bekämpfung solcher Auswüchse bereitzustellen. Die Veranstalter geben sich hier größte Mühe, präventiv und akut zu helfen und zu informieren. Aber davon einmal abgesehen zeichnet sich auch eine gewisse Veränderung in der Struktur des Publikums ab. Während noch bis ca. 2003 der größte Teil des Publikums aus "echten" Metalheads bestand, verwässert dies mehr und mehr zu Ungunsten des Feelings auf dem Platz. Zum einen nimmt der Anteil an "Kiddies" und ziemlich jungen Leuten, die eigentlich nur noch Interesse an komatösem Saufen haben, stark zu, zum anderen gibt es einen gewissen Zuwachs in der "Upper Class" Fangemeinde, d.h., Leute, die mit teuren WoMos anreisen oder diese vor Ort mieten, um dann, bekleidet mit Armanikutten und Retro-Stiefeletten, Bands ihrer Jugend zu sehen (Iron Maiden, Scorpions, Ozzy, Alice Cooper usw.). Rechtsanwälte, Zahnärzte und andere Money-V.I.P. in "Gated Areas" erobern Ground Metal. Jeder Harleyfahrer kennt diese Gruppe von den Treffpunkten unterwegs... Alles in allem mutiert das Metalfest langsam aber sicher zu Norddeutschlands größtem Campingplatz mit Zwangsbeschallung, dem einzigen, auf dem man nicht sofort vom Platz fliegt, weil man dem Nachbarn besoffen aufs Zelt gegöbelt hat. Neben "Metal Markt", "Wikingershow", "Schlammcatchen" und "Meet&Greet" fehlt eigentlich nur noch die extragroße Metal-Hüpfburg oder Hard Rock Reiki im Zelt mit anschließendem Abmoshen des eigenen Namens nach Orff Musik. Natürlich ist es für die Veranstalter schwer, einer solchen "Verjahrmarktung" entgegenzuwirken. Aber ein gewisses Konzept zur Erhaltung des ursprünglichen Flairs wäre vielleicht angebracht bzw. wünschenswert. Ansonsten: METALHEADS ROCK ON!

Heavy Metal



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